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Der heilige Gral

12. Dezember 2021

Kann es sein, dass man den heiligen Gral gefunden hat, um ihn wieder zu verlieren? Und dann? Wieder erneut auf die Suche gehen, um ihn wieder zu finden und wieder zu verlieren?

Oder ist es möglich, ihn zu finden und irgendwie zu behalten? Da man nichts Äußerliches auf Dauer behalten kann, ist es in sich schon logisch, dass es beim Fund des heiligen Grals nur um einen inneren Fund gehen kann.

Also kann man ihn nur in sich selbst suchen, wenn man ihn verloren hat. Wo soll ich suchen? In den Füßen? In den Händen? In den Armen? In den Beinen, im Kopf, in den Organen? Ja, genau.

Ich war bis jetzt immer sehr schnell in meinem Leben. Die ersten 30 Jahre habe ich so schnell gelebt, dass das Erlebte auch ein Vielfaches an Jahren hätte dauern können. Besonders eins dieser Jahre ging so schnell, so schnell, dass ich rückblickend zum Teil aus einer Woche viele Jahre und mehr hätte machen können. Nun geht alles langsamer, weil ich langsamer geworden bin. Langsamer im Denken, langsamer im Lernen – und dabei aber eben auch tiefgründiger und verbindlicher. Wähle ich etwas, bleibe ich dabei. Wähle ich etwas ab, bleibe ich ebenso dabei. Wo ist der Schmetterling hin? Ein Leben als Schmetterling war so fröhlich, so leicht und ungebunden. Nun ist der Schmetterling wohl tot. Wird er wiedergeboren? Oder bleibe ich nun den Rest meines Lebens ein Elefant? Oder eine Schildkröte? Oder ein weißes Pferd?

Ich bin eine kindliche Erwachsene und ein Kind in einem erwachsenen Körper. Ich bin mir selbst eine rätselhafte Fremde, weil ich unberechenbar bin. Ich weiß nicht wirklich, was morgen sein wird, was als nächstes geschieht, wie ich reagiere. Ich kenne mich in und auswendig als ein endloses Rätsel. Und ich staune ständig über mich selbst. Nichts scheint mir unmöglich zu sein. Im Erleben und Erfahren. Wohl kann ich leider noch nicht fliegen oder meinen Körper physisch verwandeln. Auch vermag ich nichts herbeizuzaubern, wobei das nicht ganz stimmt. Schon oft haben sich Gedanken spontan realisiert. In synchronen Momenten. Doch das erlebt sich nur in einem Zustand der Freude und Leichtigkeit, als Schmetterling eben. Seitdem ich die meiste Zeit als Elefant verbringe, erlebe ich leider nicht mehr so viele ulkige Dinge und habe dadurch auch nicht mehr so viel zu lachen leider. Und wenn, dann bin ich damit manchmal alleine, manchmal aber auch nicht.

Zu viel denken mag doof sein, aber im Grunde genommen macht es mir Spaß. Ich bin eine Denkerin, die ihren Gefühlskörper gefunden hat. Ich bin eine Rednerin, die das Schweigen gefunden hat. Und ich bin eine Menschin, die die Erfüllung gefunden hat. Und wieder verloren. Darum die Frage nach dem heiligen Gral. Wieder suchen? Wo ist er nur hin – wo ist er nur? Gibt es einen geheimen Ort in mir, wo ich ihn abgestellt habe und vergessen habe wohin? Da muss ich ehrlich mal suchen, der Raum ist aber ziemlich groß. Das ist ja wie beim Lottospielen – da kann ich auch mein Leben lang spielen und niemals gewinnen. Oh je, wie ermutigend. Aber es muss doch einen Trick geben, oder nicht? Gibt es nicht einen Trick, herauszufinden, wie die richtigen Zahlen zu finden sind? Ebenso: Wie und wo habe ich nur den ollen heiligen Gral hingestellt? Vielleicht komme ich weiter, wenn ich mich daran bis in alle Einzelheiten erinnere, wie ich ihn damals gefunden habe.

Gehe ich den Weg also zurück an den Anfang und gehe ihn in Gedanken noch einmal durch. Ob das funktioniert? Das weiß ich noch nicht, aber versuchen kann ich diesen Weg ja einmal. Wenn er zu nichts führt, dann muss ich mir eben etwas anderes einfallen lassen.

Auf der anderen Seite habe ich den Gral sogar absichtlich wieder weggegeben, muss ich ja ehrlicherweise vor mir selbst mal zugeben. Ich weiß es noch genau.

Kurz vorher hatte ich das letzte Erlebnis mit meinem heiligen Gral in den Händen und im Herzen und um mich herum und durch mich hindurch. Naja, er ist schließlich überall und schließt einen ein, wenn man ihn gefunden hat. Man ist der Gral. Der Gral ist der Mensch. Menschsein. Vollkommenes perfektes Menschsein. Und davon gibt es so viele Arten wie es Menschen gibt. Wobei sich die Erlebnisse derer, die den heiligen Gral gefunden haben, sicher irgendwo ähneln, da bin ich überzeugt. Weil die Sichtweise der Dinge ähnlich ist. Es gibt eben nicht nur schwarz und weiß sondern auch unendlich viele Zwischentöne in allen Regenbogenfarben. Die erweiterte Sicht erweitert das mögliche und konkrete Erleben der Dinge. Alles darf sein. Alles ist okay, ohne Abstufungen und Unterschiede. So erlebt sich sehr viel Wundervolles, weil nichts verneint wird. Nicht einmal das Nein.

Das letzte Gralserlebnis war die Begegnung meiner Selbst in Form von zwei schönen schlanken spanischen Frauen in meinem Alter am Strand von Spanien nördlich von Alicante. Bis heute habe ich sie nicht wiedergesehen, und irgendwie ist es mir auch total egal, ob ich sie wiedersehe. Ich glaube nicht einmal wirklich, dass ich sie wiedersehe. Es war nur ein Moment, ein Gespräch von vielleicht 20 bis 25 Minuten. Es war wundervoll, wunderbar, wunderschön. Superklasse obertoll. Das ist ja auch nicht der Grund, weswegen ich den Gral wieder versteckt habe, weil es so furchtbar mit ihm ist. Nein, aber es musste wohl eine Entscheidung geben. Denn mit Gral in der Hand schien und scheint es mir unmöglich, dabei noch „normal“ zu sein, sprich, halbwegs systemkonform zu funktionieren, mich an Zeit und Raum zu halten, an Gesetze, die sich Menschen ausgedacht haben und die einfach schwachsinnig sind und nur der Kontrolle und Machtausübung dienen, zu sonst gar nichts. Wobei ich nicht einmal ausschließe, ja es sogar bewusst einschließe, dass ich dabei war, als diese Gesetze erfunden wurden. Die Seele ist ewig, unendlich, und immerwährend. Überall zu jeder Zeit. Darum gibt es nichts zu Verurteilen. Nichts. Nichts.

Aber vor allen Dingen habe ich mich alleine gefühlt. Ja, im wahrsten Sinne des Wortes „all-ein“ eben. Nur damit eben alleine. Wer fühlt denn dieses All-Eins-Sein heutzutage mal so eben dauerhaft? Bis auf diese wenigen schönen Momente mit Menschen, die ich dann aber wieder aus den Augen verloren habe, kein Wunder, da gibt es kein Bleiben und keine Bindungen, weil es ja noch so unendlich viel anderes zu erfahren gib. Bis auf diese wenigen schönen Momente puren Lebens und purer Intensität wirkte ich doch zunehmend auf meine Mitmenschen verrückt, merkwürdig und …:„Besser aus dem Weg gehen…“ – so nach dem Motto. Das hat mich traurig gemacht, weil ich in Wirklichkeit nur mit jedem spielen wollte, mit jedem sein wollte, einfach nur sein, aber eben nicht immer allein-sein. Doch mit anderen einfach nur sein, ohne zu quasseln, ohne zu streiten oder sich ganz schnell auf die Unterschiede zu konzentrieren, das ist noch selten in meinem Leben. Und darum bin ich wieder allein, aber diesmal nicht all-ein. Nicht im Gefühl. Nicht mehr ständig, weil ich wieder hinuntergestiegen bin in die Trennung. In der Einheit wollte ich nicht bleiben. Ich hätte dort bleiben können. Aber ich wollte es nicht. Warum, weiß ich nicht. Ich weiß nur, ich hatte die Wahl. Ich habe immer die Wahl. Jeder hat immer die Wahl. Vielleicht ist es eine spannende Herausforderung, es wiederzufinden. Es wird schon zu etwas gut sein.

Und so fühle ich mich wieder wie ein Kind. Irgendwie neu geboren, aber dabei in einem Körper, der älter wird. In Wahrheit fühle ich mich wie ein Kind, das sich bemüht, sich hier anzupassen und zu integrieren, mit dem Unterschied eben, dass ich gerade meine zweite Kindheit erlebe und noch einmal neu anfange. Und das aber in einem Leben, ohne den Körper verloren zu haben. Ohne physisch neu geboren zu sein. Der Körper ist noch derselbe. Aber ich bin nicht mehr dieselbe. Ich bin jetzt ich. Bilde ich mir ein. Und dieses Ich ist irgendwie alles. Dieses Ich ist verpackt in einer Rolle, die es spielt. Nur ich weiß eben, dass ich nur eine Rolle spiele, wie im Theater. Ich kann von heute auf morgen die Bühne wechseln, wenn es sich eben so ergibt. Weil ich in Wahrheit nichts mehr anhafte. Nicht wirklich. Auch wenn das auf andere Menschen manchmal anders wirken mag. Ich folge meinem Gefühl und meinen Eingebungen, stehe zu meinen Entscheidungen und vor allen Dingen – ich habe kein schlechtes Gewissen, keine Schuldgefühle und ich bereue nichts. Gar nichts. Egal, wie meine Umwelt auf mich reagiert. Ich bewege mich geschickt, so dass ich es so leicht wie möglich habe. Der Schmetterling ist verinnerlicht. Ich bewege mich nicht äußerlich ruckizucki von einer Blüte zur nächsten. Innerlich allerdings bin ich ständig unterwegs und suche nach den besten Antworten, dem besten Schweigen, den besten Reaktionen und den besten Aktionen – immer im Einklang mit dem Außen und mit der Zeit. Und dabei passiert das alles von alleine, ohne Planung und Berechnung. Meine Seele hat das Steuerruder übernommen. Mein wahres Ich führt und leitet und schützt mich.

Das hört sich alles wunderbar an, nur vermisse ich mein Strahlen, mein inneres Licht.

Es scheint sich so tief verborgen zu haben, um mein physisches Leben hierzu schützen. Herzliches Lachen, ehrliche Freude, Enthusiasmus, all das hatte ich erleben dürfen, über einen langen Zeitraum stabil und stetig sich steigernd. Nun ist es verborgen, so wie der Gral. So wie die Sonne im Winter sich kaum zeigt und schon gar nicht wärmt. So fühlt sich das an.

Informationsträger. Mikrochips tragen Informationen. Bücher enthalten Informationen. Steinplatten enthalten Informationen. Kristalle enthalten Informationen. Und ich bin ein Informationsträger oder eher wohl eine Informationsträgerin. Wo mich das Leben einsetzt, bin ich der „I love you“-Virus. Das Leben selbst speist mich ein, und meine Aufgabe ist, sowohl meine selbstgewählte Arbeit zu machen als einfach nur präsent zu sein, weil ich Informationen enthalte, die wie ein Kristall in meine Umgebung abstrahlen. Und dabei ist es netterweise völlig egal, wie ich drauf bin, ob ich müde bin, nervös bin, wütend bin oder sonst was gerade zum Ausdruck bringe. Denn was auch immer ich zum Ausdruck bringe, es ist echt und rein. Und es ist intensiv. Tja, es geht eben nicht um mich alleine, es geht hier nicht um meine Ego-Befriedigung.

Ich habe mich beim lieben Gott beworben und den Job bekommen, und dafür habe ich die wundervollsten Erfahrungen machen dürfen, auf der anderen Seite bin ich mir allerdings manchmal auch nicht so sicher, ob ich es rückgängig machen würde bzw. kündigen würde, wenn es ginge. Ich habe diesen Gedanken schon oft gehabt, aber um ehrlich zu sein, ich werde nicht kündigen. So stressig wie dieser Job auch ist, so wunderbar ist er auch. Nein, das mit der Kündigung können wir abhaken. Irgendwann wird es sicher auch wieder mal eine völlig superschöne, superleichte und geile Zeit geben – und dann wohl auch wieder eine eher dunkle. Totaler Gleichklang ist vielleicht möglich, aber das ist für mich hier derzeit in den hiesigen Umständen noch nicht lebbar. Und als Spiegel bin ich nun einmal Schwankungen unterworfen, denn mein Umfeld ist ja auch nicht immer gleich. Die Schwankungen sind auch ein Zeichen von Lebendigkeit. Das pure Leben und die pure Lebendigkeit habe ich eine Zeitlang auch in völligem Gleichklang erleben dürfen. In einer inneren Stille, an der alle Wogen der Außenwelt vollkommen abgeprallt sind. Ja, mein spiegeliges Sein ist wohl im Moment nicht in dieser Form vorhanden, denn ich selbst schwanke in mir auch.

Und es wird sich verändern. Das Bild lebt, es verändert sich immer. Und darum ist die Zukunft offen, permanent fließen neue Farben in das Bild ein, weil so viele Faktoren zusammenhängen. Das ganze Bild ist gigantisch unendlich groß, so vieles fließt zusammen. Der Klebstoff ist die Liebe, diese Liebe durchzieht alles, durchdringt alles, ist der Urstoff von allem. Es gibt nichts anderes als die Liebe. Die Liebe kann natürlich verschiedene Rollen anziehen, in allen Varianten sich nach außen zeigen und gerade in dieser Dimension, der Dimension der großen Täuschungen, kann man die Liebe nur erkennen, wenn man mit dem Herzen schaut. Mit den Augen wird man nur betrogen.

Wir sind auf dem richtigen Weg zurück in die Einheit. So wie es ist, ist es hundertprozentig richtig, auch wenn wir es meistens aufgrund der Täuschungen nicht richtig sehen können. Doch in Wahrheit fehlt nichts, gar nichts. Alles ist im Überfluss vorhanden – jeder hat alles, was er braucht, um genau die Erfahrungen zu machen, die ihm fehlen. Das ist vollkommen – und vollkommen wertfrei. Gute Nacht!

Anmerkung

[1] Dieser Text entstand im Original am 28. Januar 2002. Um ihn jetzt– fast genau 20 Jahre später – erstmalig zu veröffentlichen, habe ich ihn geringfügig überarbeitet.

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